Zweimal Steinway-Flügel auf der Bühne beim Seesener Kulturforum, zweimal atemberaubend schwarz gedresst und später feurig rot, mit Charme und dem Witz ihrer Conferencen ihr Spiel begleitend: Anne Folger und Jennifer Rüth, das sind die Königinnen des Pianospiels.
„Verspielt“ heißt der Titel des aktuellen Programms der Queenz, da passt Mozart an den Anfang des Konzerts. Modulierend medleyhaft, verspielt halt wie das Wolferl, so finden die beiden Musikerinnen zum Anfangsthema zurück. „Verspielt man sich im Jazz, so heißt das schon Improvisation“. In der klassischen Musik sei das ein Fehler, aber jeder echte Perserteppich habe seinen eigenen Webfehler. Nur Gott ist vollkommen. Ragtime und Mozart passen immer zusammen.
Da ist es dann auch logisch, wenn beim Seesener Kulturforum die klassischen Themen mit Eisennagel, Milchaufschäumer oder anderen Requisiten erweitert werden. Der Anstrich bleibt durchgängig klassisch, trotz der jazzig-swingenden Oberkleider und der laut tönenden Filmmusiken zwischen den „Glorreichen Sieben“ (mit „Harfenspiel“ in den Klaviersaiten-Lagen, Keyboard-Einwürfen und einem Pappdeckel-Plektron) und „Star Trek“. Der Zug zu den Sternen ist nichts für Herzschrittmacher-Patienten, wenn durch Jennifer Rüths dirigentische Bewegungen berührungslos das Theremin (Aetherophon) zum Klingen gebracht wird: Ein Klang nahe dem Cello oder auch der singenden Säge, sirenenhaft, ein Spiel auf elektromagnetischem Feld und ein Crossover der eigenen Art. Staunen und doch ungläubiges Verständnis schweben über dem Publikum.
Eine Samba do „Brazil“ bringt südamerikanisches Temperament in die Steinway-Flügel und springt über in europäische Ohrwürmer inclusive der Filmhits der 30er Jahre. Das Duo präsentiert Eigenkompositionen, eher ruhig und sentimental („Home“ und „On The Fly“), Melancholie in Schuberts „Träumerei“, Bachs Präludium und schließlich bei einem aggressiven Mozart fast endend, wäre da nicht noch Wacken auf dem Feld. Musik ist die Sprache der Emotionen. Die „Freude“ kommt über Beethovens Ode.
Die beiden Künstlerinnen erklären die musikalische Inclusion der klassischen und der afrikanischen Musik aus der Kombination der europäischen sieben Töne mit den Fünfertönen der Worksongs der schwarzen Sklaven im Süden der USA. Das führt zu den Blue Notes des Jazz und wird demonstrativ mit dem abendländischen Pachelbel verquickt. Eine Reduzierung auf die Töne A-F-D käme nicht in Frage. Bei „Minnie the Moocher“ wird das Publikum zu nachsingenden Scat Vocals à la Satchmo aufgefordert. Beim vierhändigen Boogie Woogie kommen die musikalischen Maschinen in Fahrt, klassisch exakt elegant und gepflegt, fern von Böttgerscher Kraftperformance.
Der Showblock nach der Pause bleibt erstaunlich kurz, wahrscheinlich, um den Zugabenteil noch „in der Zeit“ zu schaffen. Das Prinzip der Fuge als „Flucht vor der Blockflöte“ beginnt bei Bach, ehe es sich in Belanglosigkeiten verliert, wird schließlich wieder zu Bach und erstirbt, um im sforzando weiter zu laufen („December Song“).
Zum Thema „Sparen bei der Kultur“ eröffnen die Queenz erstaunliche Vorschläge für musikalische „Sparprogramme“, Kürzungen und zeitliche Verdichtungen. Mozarts „Türkischer Marsch“ gerät zu einer kompatiblen Sparversion, indem Fließbandarbeit vereinfacht, das Pedal ebenso weg gelassen wird wie die für die Tonart notwendigen drei Kreuz-Vorzeichen. Ganztonschritte sind da die logische Folge. Diese irrsinnige Logik macht Spaß, auch eine Bach-Toccata in Reduktion. Der Spirit von Kurt Cobain schwebt süßlich im Nirvana der Billig-Deo-Nebel über den Köpfen der Zuschauer.
Das letzte Stück („Time to say goodbye“) kommt viel zu früh. Das Publikum erklatscht sich zwei Zugaben („Czardas“ von Vittorio Monti und die Hände voll mit Wiegenliedern), das sind dann noch einmal Performances zwischen Augenweide und Ohrenschmaus.
Dr. Joachim Frassl