Eine Liebeserklärung an Grandmère

Das Publikum, das am 1. Dezember in der Aula am Schulzentrum zur Veranstaltung des Kulturforum Seesen e.V. kommt, erwartet den deutsch-französischen oder französisch-deutschen Kabarettisten Alfons. Dem breiten Publikum bekannt als der Mann mit der orangenen Trainingsjacke, dem niedlichen Akzent und dem Puschelmikro. In dieser Erwartung sitzen die Zuschauer hier, deshalb ist das Haus ausverkauft.

Diese Erwartung des seichten, amüsanten Abends mit Alfons werden sich auflösen. Bereits der Beginn durch die Liedermacherin Julia Schilinski leitet einen Abend der besonderen Art ein.

Der Aufhänger des Programms „Noch deutscherer…“, der Brief des Hamburger Oberbürgermeisters mit der Frage, ob Alfons Deutscher Staatsbürger werden wolle, tritt schnell in den Hintergrund.

Ganz sanft zieht Alfons sein Publikum in seinen Bann und in seine Geschichte. Es ist seine Familiengeschichte, an der er teilhaben lässt. Privat, sentimental, ehrlich, anrührend, amüsant, tiefsinnig kommt der Mann in der Trainingsjacke daher. Ganz anders als erwartet, aber ganz besonders, ganz beeindruckend.

Der Abend entführt in die Vergangenheit mit der Deportation des Urgroßvaters „le Patron“ nach Auschwitz, Grandmère, der Großmutter, die ihren Schwiegervater freiwillig begleitet und überlebt, und deren Wunsch, dass sich die Geschichte nicht wiederholen dürfe. 

Doch der Abend ist keine trockene Geschichtsstunde oder Ähnliches. Im Gegenteil durch die sanft eingestreute Musik der grandiosen Julia Schilinski werden die ernsten Momente unterstrichen und die seichten aufgelockert.

„Le Petit Tete“, wie die immer wohlgelaunte Grandmère ihren Enkel liebevoll nannte, steht vor der Entscheidung seines Lebens. Kann und darf er der Familiengeschichte wegen überhaupt über eine Einbürgerung nach Deutschland nachdenken? Viele Jahre lebt er bereits in Deutschland, aber die Frage kam nie auf. Die Entscheidung fällt nach schweren Träumen, lauterwerdenden Stimmen, durch einen Brief aus einem lange verschlossenen Tresor und einem Kühlschrankbrand (!).

Alfons Abend ist eine Hommage an seine Großmutter, die nicht hassen wollte und „le Petit Tete“ bittet, dass er entscheidet, worauf er die eigene „innere Taschenlampe“ bei einem Menschen leuchten lassen wolle.

Der Mann mit der Trainingsjacke lässt sich einbürgern, denn seine Geschichte lässt ihn Franzose und Deutscher sein, problemlos.

Der Abend endet mit Bildern, die die Geschichte(n) noch einmal lebendig werden lassen: Grandmère, le Patron, Alfons;

und Standing Ovations des Seesener Publikums.

Mit ganz anderen Erwartungen ist das Publikum gekommen, ergriffen und gerührt und überwältigt von diesem Abend geht es nach Hause.

Das Programm des Kulturforums Seesen e.V. am 1. Dezember ist um 22 Uhr beendet, aber jeder nimmt die Geschichte mit nach Hause.  Phänomenal!

Tanja Wöhle

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