Christian Ehring ist wieder einmal zu Gast beim Seesener Kulturforum. Das Publikum begrüßt den Kabarettisten herzlich und erwartungsvoll. Am Steinway-Flügel wird dieser zunächst „Authentisch“: „Ich habe keine Ahnung, ich habe keinen Plan. Ich habe nicht geprobt, ich fang einfach mal an.“

Ob junge Eltern im Saal seien. Das ist die Brücke, um auf seinen Sohn zu sprechen zu kommen. Sein Sohn ziehe jetzt aus, nach Buenos Aires in einen Slum: „Freiwilliges soziales Jahr“, freiwillig bestimmt durch den Vater. Argumente drehen sich um Kernkompetenzen, jugendliche „Freizeitgestaltung“ und Slumerfahrungen als Bewerbungspluspunkt für später.
Bei den Handyfotos von Kindersoldaten und Freizeitkrüppeln vermischt Ehring raffiniert die Perspektiven: Das Lächeln der Slumkinder werde immer vor Augen bleiben, das Lächeln der Waisenkinder darüber, einem 18-jährigen emotionalen Wohlstandskrüppel zur Selbstfindung verholfen zu haben.

„Keine weiteren Fragen“ ist der Titel des aktuellen Kabarett-Programms von Christian Ehring. Darin deutet sich bereits die festgefügte Perspektive des Älteren dem Sohne gegenüber an, modern sich gebend, unhinterfragbar und erschreckend schief, in kabarettistischer Ironie entlarvt. Der Erzählstil vermittelt selbstgerechte Bewertungen der der Ausbeutung ausländischer Pflegekräfte, des Sohnes und dessen olfaktorischen Aspekten zwischen Puma und Schuhen in der Pubertät, nur studierfähig für spätere Konsolenwissenschaft oder Cannabis-Kunde. Die leerstehende Wohnung des Filius für einen Flüchtling bereitzustellen, sei eine gute Idee seiner Frau. Aber nur als Vorstellungswelt, nicht jedoch als Realisat. Die Vaterperspektive auf die Biografie für den Sohn und die Sicht auf das Flüchtlingsproblem sind die geschickt gespannten roten Fäden für das Bühnenspiel. Die Liedertexte passen sich dem ein: „Bitte schaut uns beim Glücklichsein zu“, „Yogalehrer“ und „Resignier doch einfach“.

Ein Satire-Ziel Ehrings ist die AfD. Er selbst sei, obwohl „Gutmensch“, keinesfalls AfD-Sympatisant, der aktuelle Syrien-Besuch aus dieser Partei ist Ziel seines Angriffs. „Ein AfD-Wähler ist vergleichbar mit einem Fußballspieler eines Liga-Tabellenletzten, der aus Protest nur Eigentore schießt!“ Noch schärfer wird er bei einem Vergleich mit Hämorrhoidensalbe. Die kabarettistisch notwendige Politikerliste reicht von Merkel zu Seehofer, von dort zu Victor Orban, gelangt zu Julia Klöppner, Gerhard Schröder und Joschka Fischer. Auf die Schlagzeilen der aktuellen Seesener Presse reagiert er spontan. „Nicht, dass Sie mich jetzt für einen verkappten Konservativen halten. Ich bin durch und durch liberal und progressiv. Unser Hund lebt in einer offen schwulen Beziehung.“ Flüchtlingsproblematik und Mülltrennung werden zu einem Atemzug.

Die abstrusen Themen werfen tiefgründige Fragen auf: Ganzheitliche Erziehung, argumentiert der Vater, sei durch vegane Kinderlieder gegeben, frei von tierischen Begriffen, so bei „Schrot, du hast das Korn gestohlen“. Wie wäre es, Flüchtlingen zur Selbstfindung Yoga-Kurse anzubieten?

Das Flüchtlingsthema bleibt permanent. Ehring besucht das Integrationstreffen der Kirchengemeinde und beschwichtigt: „Wer Angst vor Muslimen hat, stellt sich halt näher an die Mettbrötchen ran!“ Bei ihm soll schließlich David aus Eritrea einziehen, wissbegierig, sprachlich perfekt – auch im Konjunktiv in indirekter Rede! – und die Diskussionen mit einer „selbstgebatikten Waldorf-Trulla“ um das Verweigern von Impfprogrammen in der Industriegesellschaft sind entlarvend.

Die „Ankommenskultur“ hat zwei perspektivische Seiten. Integrations-Objekt David sagt ab, denn er hat Angst vor der spießigen Enge der Familie. „Und das mit der Mülltrennung würde er sich auch nicht zutrauen!“ Es ist am Ende der Sohn, der den egozentrischen Vater zurecht rückt. Es ist der Vater, der sich ändern muss. Die Realität lässt nicht mit sich diskutieren. Auch der Sohn nicht, der dem „Bühnenspiel“ des Vaters seine Sichtweise gegenüberstellt.

„Kann man seinen Kindern ehrliche Schlaflieder singen?“ Lieder von Krieg, Krankheit und Tod? Das Schlaflied am Steinway setzt den Schluss eines bemerkenswerten Kabarettabends: „Schlaf, mein Kind schlaf nur ein. Die Welt ist nicht gut… Der liebe Gott ist gestorben und die Nachtigall lügt, denn sie singt nicht von Terror und Krieg. Ich geb auf dich Acht, gute Nacht.“ Es ist ein ruhiger und sentimentaler Abgesang beim Seesener Kulturforum. Das Publikum applaudiert begeistert und würde noch weiter machen, obwohl der Abend lang war. Zugaben wären hier unsinnig, die roten Fäden sind am Ziel angekommen und nicht zu verlängern.
Keine weiteren Fragen.

Der Erlös der im Foyer verkauften CDs soll Flüchtlingen im Ausland helfen, er ist für „Ärzte ohne Grenzen“ gedacht.

Dr. Joachim Frassl

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