„Willkommen in meiner Lieblingsstadt Seesen.“ Das ist nett gesagt, stimmt sicherlich nicht, aber glauben wir ihm mal. Nicht so dem „Irren Trump“, dessen Gehirn durch den Pony zerstört sei, nicht so dessen täglichen “Twitter-Dünnschiss-Zeichen“. Doch stimmen wir ein in „Make the Harz great again!“. Das „Trumpeltier“ bekommt Breitseiten, aber auch Putin, Kim und Erdogan und dessen „Verfolgungserdowahn“. Der Kabarettist fordert ein „free Europe ohne Kleingartenfaschisten!“ Reichows Programmtitel für den Abend beim Seesener Kulturforum heißt „Freiheit“ und die verschiedenen Freiheits- und Glücksmomente durchziehen thematisch den ganzen Abend.
Aus Merkel-Putin-Telefonaten wird ein Lied. Dort: „Ich bin ein kleiner Mann mit Fuchsgesicht…“ und hier: „Ich sitze hier im Kanzleramt und warte…“ Die Melodien sind Ohrwurmschlagern entlehnt.
Musik-Kabarett ist angekündigt worden, aber es sind klar abgegrenzte Schienen in der Vortragskunst Lars Reichows: Er ist einerseits märchenhaft plaudernder Alltagsgeschichtler und daneben Liedermacher und Pianist. Das Unglaubliche und Groteske ist so nahe an den eigenen Erfahrungen und (Alb-)Träumen, dass das Publikum sich wiedererkennt.
Der Plan seiner Frau, zusammen mit den Kindern per Wohnmobil nach Norwegen zu reisen wird in einem köstlichen Reisebericht illustriert: „Wir fahren mit einem Jugendzimmer mit Kochplatte“, die Geschichte ist eingeengt auf die Bereiche zwischen Klo und Elch mit Familie. Die Flucht nach Dänemark beendet den Traum.
„Als ich noch ein Kind war, wollte ich frei sein und habe im Sand gespielt.“ Die Freiheiten als Mann, dann als 50-Jähriger sehen anders aus bei Kühlschrank, Fleischwurst und Weinflaschen, der uralte VW-Bus wird ausgetauscht gegen ein Sportmodell und die Glatze des Mannes funktioniert als Klimaanlage. Der Rap am Steinway-Flügel zeigt den Spagat zwischen dem Alltag und ernster Kunst, zwischen Sprech- und Musikform, zwischen Privatem und Politischem, zwischen Klaviator und Sprachbauer als kabarettistischer Dampfplauderer. Reichows Wortakrobatik wird reizend präsentiert, ironisch und pointiert. Er trifft die Zonen „unter der Haut“, wenn er neben der Feierabend-Idylle zuhaus ein Flüchtlingsboot sinken sieht und sich Pizza in den Mund schiebt. „Wie lange sinkt das Boot?“
Reichow ist Parodist, nicht nur, wenn er musikalische Ohrwürmer als Verpackung eigener Texte zitiert, sondern auch im Nachahmen der Stimmen. Das mag stimmen, lässt man die sprachlich-phonetischen, vergewaltigenden Geräusche zur grönländischen oder finnischen Sprache außer Acht. Das End-60er-Jahre-Stöhnen im „Je t´aime“ gerät bei Reichow in ein lustvolles und boshaftes Spielen um „je wesesche“. Aktuell kommen auch Monsieur Hollande und Madame Hollandaise mit ins Spiel.
Finalissimo beim Seesener Kulturforum geht es Lars Reichow um „Apps für Handys“, und immer mehr Apps, die schließlich als Äpp-Äpp-Äpps Teil der rhythmischen Struktur werden. Am Schluss bleibt die App für Applaus und zum Glück hält der Kabarettist auch noch Zugaben-Apps für das begeisterte Publikum bereit.
Dr. Joachim Frassl