Dem Kulturforum Seesen ist wieder mal ein kabarettistischer Volltreffer gelungen. Nein, keine Angst, am Freitagabend wurde keine der vielzitierten Visitenkarten, die sich immer wieder in Berichte über künstlerische Ereignisse einschleichen und zu Hunderten in journalistischen Zitatenkellern vermodern abgegeben. Mit Sebastian Schnoy demonstrierte ein absoluter Spitzenvertreter der Kabarettistenzunft seinen Witz, seine Kunst und seine begeisternde Fähigkeit auch mit einem kritischen Publikum in Kontakt zu kommen. Mit dem Grundgesetz in der Hand, dessen 70jähriger Geburtstag nach seiner Meinung nicht genügend gefeiert wird, leitete er uns geschickt durch Geschichte und Geschichten und führte in atemberaubendem Tempo und mit überraschend unpopulären Beobachtungen und noch unpopuläreren Vorschlägen durch sein Programm. Zwischen zustimmendem Lachen und höflicher Zurückhaltung trieb er uns wie eine zottelige Schafherde von saftigen Witzwiesen über karge Argumentäcker bis zum jähen Abgrund eines Lösungsvorschlag, dessen dialektischer Ursprung kaum zu übersehen war. Natürlich erntete er volle Zustimmung zur Verdammenswertigkeit von Populismus wie z.B. die Herren Erdogan, Trump, Orban usw. ihn pflegen. Sein Lösungsvorschlag, die Türkei in die EU aufzunehmen ist zwar nicht ohne Reiz, war an diesem Abend nicht konsensfähig. Obwohl die demokratischen Errungenschaften der Türkei vor dem klaren „Nein“ von Merkel zumindest auf dem Papier im Vormarsch waren und jetzt eindeutig zu Staub zerbröseln. Abwegig, aber logisch untermauert auch sein Vorschlag, Trump als friedlichstem aller amerikanischen Präsidenten seit 25 Jahren den Friedensnobelpreis zu verleihen, weil unter ihm die USA eben weder irgendwo einmaschiert seien, noch sonstige Kriege führe. Auch habe Kim Jong Un seit dem Treffen mit Trump keine atomaren Kriegsdrohungen mehr ausgesprochen.
Geschickt streute Schnoy nach Lachversagern historisch Interessantes ein. So zitiert er die Forderungen der Aufständischen im Bauernkrieg des 16.Jahrhunderts : im Grundgesetzt sind Sie nicht besser formuliert. In diesem Zusammenhang zitiert er Luthers Verlautbarungen zur Pflicht der Bauern sich zu schinden und der Pflicht der Bauernfrauen, ihren Männern zu gehorchen. Auch das Thema der Geschlechterunterschiede thematisierte er sensibel, aber auch überraschend: da die deutschen Männer statistisch 6 Jahre weniger leben als die Frauen, rechtfertige dies den Unterschied im Verdienst. Natürlich propagierte er, getreu dem Grundgesetzt den Gleichbehandlungsgrundsatz der Geschlechter. Vor allem seien alle Menschen vor dem Gesetzt gleich. Die Durchführung dieses Grundsatzes wurde aber auch sofort mit der Realität konterkarriert: Ein syrischer Ladendieb, der Socken im Wert von 4 Euro gestohlen hatte, wurde zu 6 Monaten Gefägnis verurteilt. Den materiellen Schaden (4€) dem Strafmass zugrundezulegen, würde dann bei Uli Hoenes eine Strafe von sechshunderttausend Jahren ergeben.
Nach der Pause wurde nochmals das Gleichbehandlungsproblem aufgegriffen, und der Grund für die kürzere Lebenszeit der Männer erklärt. Bei gleichen Lebensbedingungen, wie sie z.B. bei Mönchen und Nonnen herrschen, betrüge die Lebenserwartungsdifferenz nur noch ein Jahr, was mit dem Fressen, Saufen und Rauchen zu erklären sei.
Höchst amusant und den meisten Zuschauern aus den Herzen gesprochen war auch seine Darstellung der politisch korrekten Sprache. Die diskreditierende Wortendung “ -ling“ z. B. bei Flüchtling oder Lehrling rehabilitierte er schlagfertig mit dem Hinweis auf „Liebling“ und bat inständig doch nicht so gründlich deutsch zu sein und die Wörter zu vergewaltigen, die nichts dafür könnten, dass es solche Ausdrucksaufpasser und somit Wortimperialisten gäbe.
Sehr interessant auch seine Beobachtung zu Völkerverständigung, die z. B. durch das Ersamus Programm vorangetrieben werde: es gäbe inzwischen 1 Million Erasmus Kinder, was dem längst überholtem Kriegsmotto “ jeder Schuss ein Russ, jeder Stoss ein Franzos “ doch eine diametral andere, menschenfreundliche, verbindende und somit friendenschaffende Bedeutung gäbe .
Sie werden verstehen, dass nicht der ganze Abend kolportiert werden kann. Ich kann Ihnen nur empfehlen auf den Namen Schnoy zu achten. Falls Sie mal einen wirklich guten Abend mit Charme, Geschichte und Geschichten, bissig, wahr und witzig erleben möchten, schauen Sie im Internet nach wann und wo Sie Sebastian Schnoy erleben können, Sie werden es nicht breuen. Der Mann ist übrigens auch ein wortgewandter Schriftsteller, dessen Bücher es wert sind gelesen zu werden. Einige haben es schon zum Spiegel Bestseller gebracht, obwohl dieses Prädikat nicht immer auch Qualität garantiert. Bei Schnoys Büchern gibt es den Qualitätszweifel aber nicht.
Gerd Weigel
Fotos: Antonio Mateo